Das macht Lust auf Schule

26.03.2018 -  

Flori hat ein Problem mit seiner Hausaufgabe in Biologie. Er erzählt seinen Freunden Tim und Lea, dass er das Wachstum eines Frühblühers beschreiben soll, aber total keine Lust darauf hat, alles aufzuschreiben. Gemeinsam kommen die drei auf die Idee, das Leben der Pflanze mit einem Daumenkino als Trickfilm darzustellen und so die lästige Schreiberei zu umgehen.

Das ist eine der Lernsequenzen der multimedialen Lern-Lehr-Plattform CoSiTo. Entwickelt und programmiert haben sie Professor Dr. Frank Bünning, Lehrstuhl Technische Bildung und ihre Didaktik an der Fakultät für Humanwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, und sein Team speziell für den Lehrplan an Sekundarschulen des Landes Sachsen-Anhalt. „Ziel des Forschungsvorhabens CoSiTo ist es, durch neue Ansätze und Instrumente den Sekundarschülerinnen und -schülern ein verbessertes grundlegendes Technikverständnis zu vermitteln und sie für Technik sowie technische Ausbildungsberufe zu begeistern“, erläutert Technikdidaktiker Bünning. „Ein wichtiges Unterrichtsfach ist da der Technikunterricht, leider aber oft negativ besetzt! Die fehlende Begeisterung einer großen Anzahl von Schülern können wir uns aber immer weniger leisten; hat sie doch einen enormen Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen einen Beruf in einem technischen Bereich und kann den Fachkräftemangel entweder ver- oder entschärfen.“ Mit CoSiTo, deren Entwicklung und Validierung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit ca. 900.000 Euro unterstützt wird, bieten die Magdeburger Fachdidaktiker eine innovative Lehr- und Lern-Plattform für einen zeitgemäßen Technikunterricht an.

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Im Schüler-Techniklabor SchüLaTech lernen Lehramtsstudierende, die Neugierde und Technikbegeisterung junger Menschen zu wecken. (Foto: Harald Krieg)

Digital Natives und Technik

CoSiTo enthält derzeit sieben Lernsequenzen für die Klassenstufen 5 bis 12, die beispielsweise von der Planung einer Klassenfahrt und der Biologiehausaufgabe, über den Bau eines Kleiderhakens oder einer Wechselgeldrückgabe wie beim Parkscheinautomaten bis hin zur Planung eines Carports reichen. „Auf unserer Lernplattform geht es um reale Probleme. Die Schülerinnen und Schüler erkennen klar den Nutzen des erworbenen Wissens und steigern so erwiesenermaßen ihre Fähigkeiten“, unterstreicht Professor Bünning. Die Auswahl der lebensnahen Szenarien wurde gemeinsam mit Studierenden des Lehramts Technik getroffen und erprobt. Ein Video – mal mit Schülern gedreht, mal als Animationsfilm – führt in eine Problemstellung ein und zeigt erste Lösungsansätze auf. Im Anschluss daran werden die Schülerinnen und Schüler Schritt für Schritt an eine Lösung des Problems herangeführt. Dieser Prozess wird durch verschiedene Materialien und Medien unterstützt. Für die Lehrkräfte gibt die Plattform Hinweise zum Lehrplan, beispielsweise, dass mit den Lerneinheiten für die 5. Klasse Grundbegriffe der Arbeit mit dem Computer eingeführt werden und der Grundaufbau eines Computerarbeitsplatzes erläutert wird und zu vermitteln ist, wie die Desktopoberfläche einzurichten und die geeignete Software entsprechend der Aufgabenstellung auszuwählen ist. Außerdem werden Empfehlungen gegeben sowohl zu den unterrichtlichen Voraussetzungen, wie der sichere Umgang der Schüler und Schülerinnen mit Tastatur, Maus, Programmen, Ordnern, Dateien, als auch zu den technischen Voraussetzungen, die für die jeweilige Lernsequenz erforderlich sind. Zudem gibt es Hinweise zur Bewertung der Unterrichtseinheit.

Schiefertafel und Tablet (c) Stefan BergerWir versuchen bisher vergeblich, mit Kreidedidaktik und Frontalunterricht die mit Smartphones heranwachsenden Digital Natives für Technik zu interessieren. Wie gut das funktioniert, können wir nicht zuletzt an den vielen unbesetzten Lehrstellen beispielsweise für Elektroniker und Elektronikerinnen, Metallbauer und -bauerinnen sowie Anlagenmechaniker und -mechanikerinnen im Bereich Sanitär, Heizung und Klima sehen. Wir wissen, dass Schülerinnen und Schüler insbesondere mit innovativen didaktischen Ansätzen moderne Technik besser durchdringen und so etwas wie Technikbegeisterung entwickeln können“, unterstreicht Professor Frank Bünning.

Der Wissenschaftler und sein Team griffen bei der Entwicklung der multimedialen Lehr-Lern-Plattform bundesweit erstmals das didaktische Konzept des sogenannten Situierten Lernens auf. Die Anfang der 1990er Jahre entwickelte Theorie betrachtet die soziale Dimension individuellen Lernens und bindet das Lernen in soziale Kontexte ein. Wissen kann nicht nach dem Prinzip „Nürnberger Trichter“ vom Lehrenden auf die Lernenden transferiert werden, so dass am Ende der Schüler das gelernte Wissen in genau der selben Form besitzt wie sein Lehrer. Vielmehr spielt die soziale Interaktion eine wesentliche Rolle, das heißt sowohl für Lernende als auch für Lehrende gemeinsam Erfahrungen machen und Kompetenzen entwickeln. In CoSiTo werden nach diesem Prinzip theoretische und technische Lerninhalte miteinander verknüpft und in für den Technikunterricht relevanten multimedialen Lernszenarien dargestellt. Der Ansatz des Situierten Lernens fände in Deutschland leider bislang nur wenig Beachtung, schätzt Didaktiker Bünning ein. Bisher existiere keine Plattform, um diese Theorie, insbesondere im Technikunterricht, umzusetzen und zu evaluieren.

Digitalisierung liefert die Grundlage für eine zeitgemäße Didaktik im Unterricht

Zurzeit wird der Prototyp von CoSiTo, der sowohl auf Computern als auch auf Smartphones und Tablets läuft, an 13 sachsen-anhaltischen Schulen getestet. Begleitend validieren die Fachdidaktiker die Lernszenarien von CoSiTo und entwickeln sie in ständigem Abgleich mit den Curricula weiter. Sie führen in einer quantitativen Studie Schüler- und Lehrerinterviews durch, prüfen die Übertragbarkeit des Konzepts auf die Aus- und Weiterbildung sowie die Hochschulbildung und beurteilen die Marktfähigkeit. Doch vielerorts in Sachsen-Anhalt gibt es an den Schulen Internetverbindungen nur auf Sparflamme und veraltete Technik – nichts mit digitalen Multifunktionstafeln statt Kreidetafeln oder Tablet statt Schulheft. Digitalisierung liefert die Grundlage für eine zeitgemäße Didaktik im Unterricht. Für die Digitalisierung der Schulen stellen Land und EU im Zeitraum bis 2023 insgesamt 13,3 Millionen Euro bereit.

Doch auch die Lehrerinnen und Lehrer, die als Lernbegleiter ihren Schülern und Schülerinnen Orientierung in der digitalisierten Welt geben und sie befähigen, digitale Medien gezielt für den eigenen Lernprozess einzusetzen, müssen fit sein. 40 Prozent der Lehrer in Deutschland jedoch haben jahrelang keine Fortbildung zu neuen Medien im Unterricht besucht, berichtet die Wochenzeitung DIE ZEIT und beruft sich dabei auf das sogenannte MINT-Nachwuchsbarometer. Forscher um den Potsdamer Techniksoziologen Ortwin Renn haben diesen Bericht zur Lage der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) vorgelegt. 73 Prozent der Neuntklässler nutzen zu Hause fast täglich den Computer, jedoch nur ein Prozent von ihnen tue das auch in der Schule. In den Schulen fehle es an Personal, um die Geräte zu warten, und vor allem fehle es an didaktischen Konzepten, wie dem digitalen Wandel zu begegnen sei. Deutschlands Lehrer sind jedoch keine Technikmuffel, das bestätigt der Bericht. 95 Prozent finden den Einsatz von modernen Medien im Unterricht grundsätzlich gut. „Smartphones und Apps sind doch inzwischen fester Bestandteil im Leben der Schülerinnen und Schüler, im Unterricht aber werden sie kaum genutzt“, schätzt Marion Pohl ein, die am Lehrstuhl für Technische Bildung und ihre Didaktik gerade an ihrer Promotion arbeitet und sich dem Thema intensiv widmet.

Smartphones kreativ im Unterricht einsetzen

Gemeinsam mit dem Zentrum für Lehrerbildung der Universität Magdeburg hat der Lehrstuhl ein neues Weiterbildungsformat für Lehrende aller Schulformen und Fächer aufgestellt: das App-Labor, kurz AppLab. In Tandems aus Lehrenden und Lehramtsstudierenden wurden in einer ersten zweitägigen Weiterbildung modellhaft mit einer App die Einsatzmöglichkeiten von Smartphones für Übungs- und Erkenntniszwecke ausgelotet. Im AppLab wird unter Laborbedingungen simuliert, was im Unterricht passieren kann. Ziel ist es, einen möglichen späteren Unterrichtseinsatz sicherer und gezielter gestalten zu können. Die erste Test-App ist war eine Schnitzeljagd, in deren Verlauf verschiedenste Aufgaben gelöst werden müssen, um das Ziel zu erreichen. Sie kann aus einen Modulbaukasten individuell, angepasst an Entwicklungsstand, Altersstruktur, Lerntempo oder Interessenlage der Schüler und Schülerinnen, zusammengestellt werden. Programmierkenntnisse sind nicht nötig.
In einer zweiten Weiterbildung werden die Lehrkräfte nach mehrmonatiger Arbeit mit der App Resümee ziehen, Probleme, Fragen, Beobachtungen und Erfahrungen diskutieren. „Der Einsatz von Apps im Unterricht soll immer nur Unterstützung für die Lehrerinnen und Lehrer sein“, unterstreicht Marion Pohl. „Das gute alte Schulbuch wird es auch zukünftig noch geben. Doch wir möchten die Lehrkräfte für den Einsatz neuer Medien sensibilisieren, ihnen die Scheu davor nehmen und sie vor allem dazu befähigen, ihren Schülerinnen und Schülern Technikbegeisterung mitzugeben. Denn noch immer gibt es an den Schulen keine einheitlichen Standards. Vieles hängt von der Motivation der jeweiligen Lehrer ab.“ Doch die Weiterbildung vermittelt noch mehr, beispielsweise Grundlagen des Datenschutzes und, dass auch das Kleingedruckte in den AGBs der App-Anbieter gelesen werden muss, dass Apps mit dem USK-Logo der freiwilligen Selbstkontrolle der Computerspielewirtschaft und der entsprechenden Altersangabe die Unbedenklichkeit bescheinigt wird oder die Sensibilisierung für die Dosis der Nutzung von Facebook, Instagram oder WhatsApp, denn ein kompetenter Umgang damit ist nicht gefährlich.

Technikbegeisterung junger Menschen befeuern

TechnikNeben der Weiterbildung richtet der Lehrstuhl für Technische Bildung und ihre Didaktik den Fokus auf die Ausbildung der Lehramtsstudierenden. Im sogenannten SchüLaTech, dem Schüler-Techniklabor, das von der Landeshauptstadt Magdeburg gefördert wird, werden angehende Techniklehrer und -lehrerinnen dafür sensibilisiert, das Technikinteresse bei Schülerinnen und Schülern zu wecken. Hier sollen sie bereits vom ersten Semester an lernen, die MINT-Begeisterung junger Menschen zu befeuern. Hier haben sie die Möglichkeit, ihr erworbenes Wissen anzuwenden, unterrichtspraktische Erfahrungen zu sammeln, sich auszuprobieren und auf das Berufsleben vorzubereiten. 750 Schülerinnen und Schüler besuchten 2016 das SchüLaTech. „Wir legen Wert darauf, dass es sich um praxisnahe Technik handelt, mit der im SchüLaTech gearbeitet wird. Zwar sind unsere Versuchsaufbauten kleiner als in der Industrie, doch die elektronische Steuerung und die pneumatischen Antriebe funktionieren auf die gleiche Weise“, sagt Prof. Dr. Frank Bünning. Neben dem modularen Bau von Anlagen können die Schüler beispielsweise auch herausfinden, worin sich eine Glühlampe von LED-Leuchtmitteln unterscheidet, wie der Lotoseffekt wirkt oder ein technischer Muskel arbeitet. Zurzeit stehen 12 Unterrichtskonzepte zwischen 45 und 90 Minuten und ein Projekttag zum Thema Automatisierungstechnik zur Verfügung.

Wie heißen Menschen, die fesselnd Wissen vermitteln? Richtig: Lehrer und Lehrerinnen. Sie machen mit Begeisterung Schule, machen unsere Kinder klüger und fit für die Zukunft. Das didaktische Konzept „einer steht vorn und erzählt, die Klasse hört zu und schreibt mit“ ist dabei Schnee von gestern. Wissen entsteht durch Austausch und Anwendung. Multimediale Technik ersetzt Kreidedidaktik. Der Lehrstuhl für Technische Bildung und ihre Didaktik hält dafür verschiedene Angebote bereit, sowohl für eine zukunftsweisende Weiterbildung von Lehrkräften als auch für eine hervorragende Ausbildung künftiger Lehrergenerationen sowie die Förderung des Technikinteresses von Schülerinnen und Schülern, um langfristig Fachkräfte in den MINT-Berufen und den entsprechenden Studienrichtungen verfügbar zu haben.

Wussten Sie schon, dass...

... Digital Natives, zu Deutsch „digitale Ureinwohner“, Personen sind, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind? Sie beherrschen den Umgang mit diesen Technologien, ohne ihn bewusst erlernt zu haben. Die Nutzung ist für sie selbstverständlich und die Realität schon von früh auf mit der digitalen Welt verknüpft. Damit grenzen sie sich von den Digital Immigrants ab, die diese Technik erst im Erwachsenenalter kennengelernt haben.

... mit App Anwendungssoftware (Application software) im Allgemeinen bezeichnet wird? Im deutschen Sprachraum wird der Terminus „App“ oft mit Anwendungssoftware für mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets gleichgesetzt. Es gibt sie für die verschiedensten Bereiche von Office-Anwendungen, Spielen, Ratgebern bis hin zu Fitness-, Einkaufs-, Musik- oder Nachrichten-Apps.

... mit dem „Nürnberger Trichter“ eher scherzhaft eine mechanische Weise des Lernens und Lehrens bezeichnet wird, die vor allem mit der Vorstellung verbunden ist, ein Schüler/eine Schülerin könne sich Lerninhalte fast ohne Aufwand und Anstrengung „eintrichtern“ und ein Lehrer könne auch dem „Dümmsten“ alles beibringen? Der Ausdruck geht auf den Nürnberger Schriftsteller Georg Philipp Harsdörffer (1607 bis 1658) zurück.

 

Ines Perl

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Webmaster