Wenn der Tumor zu hören ist

23.08.2018 -  

Ein Schatten auf der Ultraschallaufnahme. Möglicherweise ein Tumor? Klarheit kann eine Biopsie bringen. Eine Herausforderung für jeden Operateur, die oft nur wenige Millimeter große Gewebeveränderung mit der Nadelspitze für die Entnahme einer Gewebeprobe zu treffen, zumal dieser minimal-invasive Eingriff dem Operateur ein nur sehr kleines Sichtfeld öffnet. Die Führung des Instruments erfolgt von außen, unterstützt in der Regel durch diagnostische Systeme wie Ultraschall, Computertomographie oder Magnetresonanztomographie. Diverse Bildstörungen oder Patientenbewegung erschweren eine exakte Platzierung und kann zu Toleranzen von mehreren Millimetern führen. Studien besagen, dass es bei mehr als zwei Prozent der Biopsien zu sogenannten „falschen Negativ-Befunden“ kommt. Das heißt, der Tumor wird nicht als solcher diagnostiziert und demzufolge auch nicht behandelt. Mit fatalen Folgen für die Patienten.

Einen Forschungsansatz für dieses Problem hat ein international aufgestelltes Forscherteam des Lehrstuhls INKA Intelligente Katheter gefunden: Audiosignale! Nicht hörbar für das menschliche Ohr, aber für hochsensible Mikrofone. Angebracht beispielsweise an der Biopsie-Nadel oder einem Katheter außerhalb des OP-Feldes, erfassen sie akustische Informationen über die Interaktion von medizinischem Instrument und menschlichem Gewebe. Kurz gesagt, verändert sich das Gewebe, in das ein medizinisches Instrument eindringt, verändert sich das Audiosignal. So kann „gehört“ werden, wann beispielsweise die Biopsie-Nadel in das Gewebe eingeführt wird, was sie passiert, wie sie sich im Gewebe verhält, wo genau sie sich befindet, wann sie wieder entfernt wird. Die Signale werden in Audiokurven aufgezeichnet und durch komplexe mathematische Algorithmen ausgewertet und als Information zur Ortung seines Instruments an den Operateur weitergegeben.

SURAG Surgery Audio Guide der Universität Magdeburg

Ideale Lösung in Entwicklungsländern

Die wichtigste Komponente im medizinischen System, die Spitze des Instruments, bleibt davon unberührt, keine Minimikrofone, Kabel oder andere Sensoren verdicken sie. Das qualifiziert das System nicht nur für minimalinvasive Eingriffe, sondern macht es auch bezahlbar und für den Einsatz in Entwicklungsländern attraktiv, da die teuren medizinischen Instrumente nicht neu gebaut, sondern quasi „nur“ ergänzt werden müssen.

SURAG Surgery Audio Guide haben die Medizintechniker ihr System zur Audioaufnahme mit nachfolgender Signalanalyse und Informationsausgabe genannt, mit dem sie noch viel vorhaben. Erste Prototypen sind bereits gebaut. Noch ist SURAG ein Zusatzmodul für bildgeführte minimalinvasive Eingriffe. Ziel ist ein selbstständig arbeitendes System, beispielsweise auch für pathologische Untersuchungen zur Diagnostik bösartiger oder gutartiger Tumoren. Ein weiteres Anwendungsfeld kann die Roboterchirurgie sein. Während ein menschlicher Operateur mit viel Erfahrung gegebenenfalls Veränderungen im Gewebe auch ertasten kann, verfügt ein OP-Roboter nicht über die Fähigkeit, zu fühlen. So haben sich die Forscher in Zusammenarbeit mit den klinischen Experten aus der Universitätsklinik vorgenommen, mit dem Surgery Audio Guide dem Roboterarm von OP-Robotern einen Tastsinn zu geben.

Ende 2017 wurde SURAG als innovativstes Vorhaben der Grundlagenforschung mit dem Hugo-Junkers-Preis für Forschung und Innovation aus Sachsen-Anhalt ausgezeichnet.

 

Ines Perl

Letzte Änderung: 09.07.2020 - Ansprechpartner: Webmaster