Wenn dem Gehirn ein Licht aufgeht

07.08.2019 -  

Der Wunsch, dafür zu sorgen, dass gehörlose Menschen wieder den Gesang der Vögel genießen oder Blinde ihren Angehörigen in die Augen schauen können, ist jahrhundertealt. Auch ein Magdeburger Forscherteam hat diese Vision und möchte künftig mit einem Start-up dem Ziel, Menschen verlorengegangene Sinneswahrnehmungen zurückzugeben, ein großes Stück näherkommen.

Dr. Michael Lippert, Martin Deckert und Prof. Dr. Armin Dadgar die potenziellen Gründer von neuraLIDE hatten eine Idee: Der Neurowissenschaftler, der Ingenieur und der Physiker wollen mit Hilfe von Licht Informationen direkt in unser Gehirn transportieren. Ein eher ungewöhnlicher Plan, erörtert Dr. Michael Lippert. „Denn, wir können aus der Gehirnaktivität bereits gut Informationen herauslesen, haben gelernt, die Signale aus dem Gehirn zu interpretieren. Aber der umgekehrte Weg, also unserem Gehirn gezielt Informationen über seine Umgebung zuzuführen, das ist bisher schwierig.“ Die Lösung des Problems liegt für das interdisziplinäre Team im Licht: Ein Implantat, CortiGrid genannt, wird mit mikroskopisch kleinen, blauen Leuchtdioden (LED) ausgestattet, die genau den Bereich im Gehirn beleuchten und so optisch stimulieren sollen, der für unser Hören verantwortlich ist.

Das neuraLIDE-Team v.l.n.r Dipl.-Ing. M. S. Sc. Martin Deckert, Prof. Dr. Armin Dadgar und Dr. Michael LippertDas neuraLIDE-Team v.l.n.r Dipl.-Ing. M. Sc. Martin Deckert, Prof. Dr. Armin Dadgar und Dr. Michael Lippert. (Foto: Harald Krieg)

Den Lichtern lauschen

Unkompliziert auf die oberste Schicht des Gehirns, unserer Großhirnrinde, aufgelegt, könnte dieses Licht gezielt Signale setzen und so Informationen über die Hörumgebung direkt in das Gehirn gehörloser Menschen übertragen. Der verlorene Sinn wird so teilweise ersetzt. Perspektivisch kann dieses Funktionsprinzip auch bei anderen Krankheiten wie Blindheit und Querschnittslähmung Anwendung finden.

„In unserem Gehirn sind die Neuronen, also die Nervenzellen, je nach Bereich für verschiedene Funktionen verantwortlich: Das Sehen, Fühlen und Hören oder die Motorik werden in unterschiedlichen Arealen kontrolliert. Dies erlaubt eine grobe Ausrichtung der Stimulation.Um aber zielgenau nur die richtigen Neuronen für die Sinneswahrnehmung anzuregen, benötigen wir eine neuartige Form der Lichtstimulation“, erklärt Dr. Michael Lippert.

Bei dieser neuartigen Methode handelt es sich um die Optogenetik; bei ihr werden Zellen genetisch modifiziert und damit lichtempfindlich gemacht.

Derzeit forscht die Arbeitsgruppe Neuro-Optics am Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie LIN unter der Leitung von Dr. Michael Lippert an Wüstenrennmäusen und stimuliert mit dem CortiGrid der ersten Generation deren Hörvermögen. Das stecknadelkopfgroße Implantat hat bei den Nagetieren schon den Nachweis des gewünschten Stimulationseffekts gezeigt. Mit einem blaulichtempfindlichen Protein, das die Tiere durch eine genetische Änderung im Gehirn selber ausbilden können, und blauen µLEDs, welche in ein Mikroelektrodenarray integriert sind, werden die betreffenden Hirnregionen stimuliert.

Mikroelektrodenarray im Package mit Leiterplatte und Stecker zum elektrischen Anschluss (c) Harald KriegMikroelektrodenarray im Package mit Leiterplatte und Stecker zum elektrischen Anschluss. (Foto: Harald Krieg)

Drei Forschungbereiche, ein Ziel

Prof. Armin Dadgar entwickelt für die Implantate kleinste LEDs, die für die nötige Leuchtkraft im Gehirn sorgen sollen. „Diese LEDs werden speziell und individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse der Patienten angepasst und so können wir präzise eine bestimmte Stelle stimulieren“, erklärt der Physiker. Der Ingenieur des Teams, Martin Deckert, ergänzt: „Es ist ein großer Vorteil für uns, die technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten hier an der Universität Tür an Tür vor Ort zu haben, um einen derartigen interdisziplinären Ansatz verfolgen zu können.“

Obwohl das Team enorm vom Zusammenspiel der Disziplinen profitiert, mussten die Wissenschaftler aus den unterschiedlichen Fächern lernen, verständlich miteinander zu kommunizieren. „Es war eine kleine Herausforderung, eine gemeinsame Sprache zu finden, wenn man aus so verschiedenen Forschungsbereichen kommt“, sagt Martin Deckert. „Nach anfänglichen Hürden, liegt in der Kommunikation heute eine unserer Stärken.“

Optische Analyse gefertigter Mikroelektronenarrays (c) Harald KriegOptische Analyse gefertigter Mikroelektronenarrays. (Foto: Harald Krieg)

Das Ziel der drei ist es, CortiGrid soweit zu entwickeln, dass das Implantat in naher Zukunft in der Praxis eingesetzt werden kann. Dabei sind sie auf einem guten Weg: Sie gewannen Ende 2017 als innovativstes Vorhaben der Grundlagenforschung bereits einen ersten Platz beim Hugo-Junkers-Preis für Forschung und Innovation aus Sachsen-Anhalt. Als Start-up neuraLIDE möchten sie künftig ihr Forschungsprojekt zur Marktreife führen.

Gefördert wird das Projekt durch das Center for Behavioral Brain Sciences (CBBS), das Land Sachsen-Anhalt und den Europäischer Fond für regionale Entwicklung (EFRE 2014-2020), FKZ: ZS/2016/04/78113 & ZS/2016/04/78120).

von Friederike Steemann

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