Entzündungen verstehen - Volkskrankheiten heilen!

Unter dem Dach des 2014 von der Medizinischen Fakultät eingerichteten Gesundheitscampus Immunologie, Infektiologie und Inflammation haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Gebiet der Immunologie und Molekularen Medizin der Entzündung zusammengeschlossen. Sie wollen die molekularen Mechanismen der zellulären Kommunikation im Immunsystem sowohl im gesunden Organismus als auch im Rahmen akuter und chronischentzündlicher Erkrankungen entschlüsseln und neue Therapien für die Patienten entwickeln.

»Den meisten Menschen ist klar, wozu wir ein Herz benötigen. Doch die wenigsten wissen, dass wir ohne unser Immunsystem nur wenige Tage überleben würden«, so Prof. Burkhart Schraven vom Institut für Molekulare und Klinische Immunologie. Dies wurde bereits im Jahr 1898 von H. G. Wells im Drama »Krieg der Welten« beschrieben: Marsmenschen überfallen die Erde, die Menschheit hat ihnen nichts entgegenzusetzen. Doch nach wenigen Tagen gehen die Marsmenschen elend zu Grunde, denn sie besitzen kein Immunsystem, welches sie vor dem permanenten Angriff durch Bakterien und vor anderen krankmachenden Keimen, die auf der Erde heimisch sind, schützt.

Normalerweise nehmen wir die Tätigkeit des Immunsystems nicht wahr. Kein Wunder, denn die Hauptakteure – die weißen Blutkörperchen oder Leukozyten – sind mikroskopisch klein. Dennoch erfüllen sie vielfältige Aufgaben, wobei die wichtigste die Abwehr von Viren, Bakterien und anderen Krankheitserregern ist. Doch auch bei der Unterdrückung von Krebserkrankungen spielt das Immunsystem eine wichtige Rolle. Es erkennt bösartige körpereigene Zellen und beseitigt sie. Das Immunsystem ist also unser Bodyguard, es passt an 365 Tagen im Jahr auf, dass wir gesund bleiben. Wenn jedoch das Immunsystem außer Kontrolle gerät, dann wandelt es sich vom Bodyguard zur Büchse der Pandora. Die Folge sind Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, Diabetes mellitus, rheumatoide Arthritis oder entzündliche Darmerkrankungen, bei denen das Immunsystem körpereigene Zellen zerstört. Man kann das Immunsystem auch mit der Polizei vergleichen: Neutrophile und Monozyten gehören zur angeborenen Immunabwehr. Als ultraschnelle Eingreiftruppe bekämpfen sie Krankheitserreger sofort und effektiv, aber relativ unspezifisch. Fehlen diese Zellen, breiten sich insbesondere bakterielle Infektionen im Körper ungehindert aus. Die T- und B-Zellen hingegen gehören zur erworbenen Immunabwehr. Sie sind bestens ausgebildete Spezialeinheiten, die ganz gezielt bestimmte Krankheitserreger oder Krebszellen bekämpfen. Und nicht zuletzt sind sie der Computer, der die Daten polizeibekannter Eindringlinge speichert, damit Wiederholungstäter noch schneller unschädlich gemacht werden können.

Nur eine reibungslose Kommunikation zwischen all diesen Einheiten gewährleistet, dass das Immunsystem seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Jede Störung der Kommunikation führt zu Fehlfunktionen und Krankheiten. Auf der anderen Seite eröffnet die medikamentöse Beeinflussung immunologischer Kommunikationsprozesse neue Optionen für die Therapie bislang unheilbarer Krebs und Infektionserkrankungen. Im Gesundheitscampus Immunologie, Infektiologie und Inflammation (kurz GC-I3) haben sich daher 19 Institute und Kliniken zusammengeschlossen, um unter dem Leitmotiv »Entzündung verstehen – Volkskrankheiten heilen« zusammenzuarbeiten und immunologische Kommunikationsprozesse zu entschlüsseln. »Wir haben in den letzten 10 bis 15 Jahren sehr viel über die Zellen des Immunsystems und ihre Kommunikationsmechanismen gelernt«, erklärt Prof. Schraven. »Viele neue hochspezialisierte Zellpopulationen wurden entdeckt, ihre Funktionsweise aufgeklärt und tiefgreifende Erkenntnisse über das Zusammenspiel der Botenstoffe, die von den Immunzellen abgegeben werden, gewonnen. Die Optionen für die Therapie von Krebsleiden oder Infektionserkrankungen, die sich hieraus ergeben, sind vielfältig.«

Dennoch sind viele Fragen in Bezug auf die Kommunikationsprozesse im Immunsystem ungeklärt. Wie schaff en es z.B. T-Zellen, die verschiedenen Signale in entsprechende Antworten zu übersetzen? Um dies herauszufinden, haben Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs (SFB) 854 molekulare Biosensoren entwickelt, mit denen strukturelle Veränderungen signalübertragender Moleküle in T-Zellen sichtbar gemacht werden können. Der Trick: An ein signalübertragendes Molekül werden zwei unterschiedliche Farbstoffmoleküle gekoppelt. Im Ruhezustand des Moleküls sind die Farbstoff e so nah beieinander, dass es zu einem Energieaustausch kommt, der als Fluorescence Resonance Energy Transfer, kurz FRET, bezeichnet wird. Verändert das Molekül nach Erhalt eines Signals seine Struktur, ändert sich die Entfernung zwischen den beiden Farbstoff en und das FRET-Signal nimmt ab. Die innovative Technologie ermöglicht neue Einblicke in das Finetuning der T-Zellen.

Prof. Andreas Müller erforscht am Institut für Molekulare und Klinische Immunologie die Kommunikation zwischen Immunzellen und Erregern. Wo und wie interagieren Immunzellen mit Erregern, wie lange dauert der Kontakt, wie beeinflussen sich die Stoffwechsel der Erreger und der Immunzellen? Er verwendet die 2-Photonen-Intravitalmikroskopie, um Immunzellen und Krankheitserreger »online« im lebenden Organismus zu untersuchen und erklärt: »Unsere Arbeit könnte helfen, die Interaktion zwischen Erreger und Immunzellen zugunsten einer besseren Bekämpfung der Erreger zu verändern« Prof. Dunja Bruder, Wissenschaftlerin am Institut für Medizinische Mikrobiologie: »Nur wenn wir die genauen immunologischen Mechanismen, die Infektionserkrankungen zugrunde liegen, verstehen, können wir neuartige Therapieansätze entwickeln, insbesondere auch gegen multi-resistente Keime«. Sie und ihre Kollegen erforschen Infektionen der Atemwege und des Gehirns.

Lange wurden das Zentrale Nervensystem und das Immunsystem als voneinander unabhängig agierende Systeme angesehen. Inzwischen weiß man jedoch, dass beide Systeme eng miteinander verwoben sind und sich gegenseitig beeinflussen. Immunologische/entzündliche Prozesse beeinflussen das Lernen, das Gedächtnis, aber auch neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson. Andererseits verändern zentralnervöse Vorgänge wie Stress oder Trauer die Funktionen des Immunsystems. Wie die Kommunikation zwischen Immun- und Nervensystem im Organismus gesteuert wird, ist weitgehend unbekannt und stellt einen »hot-topic« moderner Forschung dar. Ein Vorgang, bei dem Immunzellen eine Rolle spielen, ist die Schwangerschaft. Während der Schwangerschaft verändern die Immunzellen der Mutter ihre Funktionen, um den eigentlich »fremden« Fötus, der normalerweise vom Immunsystem der Mutter abgestoßen werden müsste, aktiv zu tolerieren. In der Abteilung Experimentelle Gynäkologie und Geburtshilfe der Universitätsfrauenklinik widmet sich Prof. Ana Zenclussen der wichtigen Frage, welche Toleranzwege aktiviert werden, um den Fötus während der Schwangerschaft zu beschützen.

»Herzinfarkte und Schlaganfälle sind für 42 Prozent aller Todesfälle in Deutschland verantwortlich«, berichtet Prof. Rüdiger Braun-Dullaeus, Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie. Seine klinische Forschung fokussiert auf die Rolle der Monozyten bei der Entstehung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen. Monozyten erkennen Schäden in der Gefäßinnenwand, die durch Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, Rauchen, Bluthochdruck oder zu hohen Cholesterinspiegel verursacht werden. Um diese Schäden zu heilen, setzen Monozyten Stoff e frei, die weitere Immunzellen anlocken. Die Folge ist eine schwelende Entzündung, die zu immer mehr Schäden, Fetteinlagerung, Verkalkung und Zelltod führt, ein Teufelskreis, an dessen Ende ein atherosklerotischer Plaque steht. Dieser verengt irgendwann das Blutgefäß so sehr, dass es zu einem akuten Verschluss, dem Infarkt, kommt. »Wenn wir den Leukozyten mitteilen könnten, dass sie genug getan haben und den Ort der Entzündung wieder verlassen können, wäre ein entscheidender Schritt zur Verhinderung von Infarkten gelungen«, so Prof. Braun-Dullaeus

Viele Menschen leiden an entzündlichen und degenerativen Veränderungen der Gelenke, deren Folge Arthritis und Arthrose sind. Wenn die Schmerzen unerträglich werden, können Endoprothesen helfen. Diese Behandlung kann immunologische Probleme mit sich bringen. Prof. Christoph Lohmann, Direktor der orthopädischen Universitätsklinik, konstatiert: »Das Einsetzen einer Endoprothese ist segensreich, aber leider nicht immer folgenlos.« So werden im künstlichen Gelenk bei jeder Bewegung kleinste Partikel freigesetzt. Diese rufen Immunzellen auf den Plan, es kommt zur lokalen Entzündungsreaktion und zum Ausschütten von Botenstoffen. Diese werden von den Knochenzellen erkannt, die daraufhin gesundes Knochengewebe abbauen, was zu einer Prothesenlockerung führen kann. Die Orthopädische Universitätsklinik koordiniert das EU-Projekt HypOrth, in dem die Ursachen der Prothesenlockerung erforscht werden und neue Materialien für Prothesen entwickelt werden. Das Ziel: In Zukunft soll das Einsetzen einer Prothese das Ende einer Erkrankung sein und nicht der Beginn einer neuen.

Die Polyzythämia vera ist eine Form von Blutkrebs, bei der Störungen der Neutrophilen eine entscheidende Rolle spielen. Da die molekularen Ursachen nicht aufgeklärt sind, stehen momentan nur unzureichende Therapien zur Verfügung. Dies könnte sich laut Prof. Thomas Fischer, dem Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie, in Zukunft ändern: »Wir haben herausgefunden, dass die Neutrophilen bei der Polyzythämia vera durch eine Mutation bestimmter Oberflächenproteine aktiviert werden. Sie werden dadurch klebrig und heften sich an den verschiedensten Stellen an. Dies verursacht viele Probleme, unter anderem ein sehr hohes Thromboserisiko.« Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse können nun neue Therapieformen der Polyzythämia vera entwickelt werden.

Der schwarze Hautkrebs ist als bösartigste Form des Hautkrebses nur sehr schwer zu therapieren. Kürzlich wurden jedoch neue Medikamente zugelassen, die Kommunikationsmoleküle auf der Oberfläche von T-Zellen blockieren und so die Immunabwehr gegen die Krebszellen reaktivieren. Dies hat die Therapie des schwarzen Hautkrebses revolutioniert. »Die neuen Immuntherapien zeigen erstaunlich lang anhaltende Erfolge und schenken vielen Patienten wertvolle Lebenszeit«, sagt Prof. Thomas Tüting, Direktor der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie. Da die neuen Immuntherapien leider nicht bei jedem Patienten ansprechen, forscht sein Team an neuen immuntherapeutischen Ansätzen, um die Therapie von Melanompatienten weiter zu verbessern.

Von Dr. Martina Beyrau
Fotos: Foto: Sarah Koßmann, Andreas Drynda

Letzte Änderung: 15.02.2016 - Ansprechpartner: Webmaster